Nie war Lugano so erfolgreich wie unter dem schwedischen Trainer John Slettvoll. Vier Titel (1986, 1987, 1988, 1990) in fünf Jahren. Es hat seither zwar zu ein paar weiteren Meisterfeiern gereicht (1999, 2003, 2006). Aber eine Renaissance des Grande Lugano ist seit 2006 nicht mehr gelungen. Nicht mit viel Geld, nicht mit kanadischen, russischen, finnischen, schweizerischen, deutschen oder schwedischen Bandengenerälen. Selbst der charismatische Zauberlehrling Patrick Fischer und der flamboyante kanadische Bandengeneral Chris McSorley sind gescheitert und gefeuert worden.
Und der Versuch, bescheiden zu werden wie Ambri und es mit einem Trainer aus den eigenen Reihen zu versuchen (Luca Gianinazzi), endete letzte Saison mit der grössten Schmach der Klubgeschichte: Noch nie musste ein so teures und so gut besetztes Team die Schmach einer Playout-Serie über sich ergehen lassen. Luca Gianinazzi hat sich als teuerster Irrtum der Klubgeschichte erwiesen. Was nun? Um aus dem Niemandsland zwischen Romantik und Realität herauszukommen, versucht es Lugano nun mit einer doppelten schwedischen Lösung und einem neuen Sportchef: Janick Steinmann, der Architekt der besten Jahre der Lakers, kommt mit Tomas Mittel und seinem langjährigen Weggefährten Stefan Hedlund.
Beide haben bereits als Cheftrainer gearbeitet. Und die ebenso kluge wie glücklose Präsidentin Vicky Mantegazza hat die Geldspeicher für Transfers öffnen lassen: Aus Genf kehrt der verlorene Sohn Alessio Bertaggia zurück, aus Zug kommt Dario Simion und aus Langnau Brian Zanetti heim nach Lugano. Gleich fünf neue Ausländer (Carrick Connor, Brendan Perlini, Rasmus Kupari, Mike Sgarbossa und Zach Sanford) sollen die Leistungskultur verändern: mit einer Prise mehr Kraft und Geradlinigkeit zurück in die obere Tabellenhälfte. Wieder einmal eine Stiländerung, um aus dem Niemandsland zwischen der Nostalgie des eigenen Ruhmes und dem Realismus des modernen Hockeys herauszukommen. Lugano ist nominell eines der besten Teams der Liga. Immer noch. Aber kein anderer Klub hat in den letzten 20 Jahren so schmerzlich erfahren, dass Namen nur auf dem Leibchen aufgenähte Buchstaben sind.
Tomas Mitell war Meister (2022) und Coach des Jahres in Schweden (2024) und lernte als Assistent von Jeremy Colliton bei Chicago zwei Jahre lang die NHL kennen. Stefan Hedlund ist in seinem 4. Amtsjahr am 8. Dezember 2024 als Cheftrainer der Lakers gefeuert worden. Er ist nicht einfach Assistent. Sondern Associate Coach. Also eine Art Edel-Assistent. Nach gut zwei Jahren unter dem Operetten-Trainer Luca Gianinazzi machen nun also zwei Schweden den doppelten John Slettvoll. Warum nicht? Nach so vielen Irrungen und Wirrungen können die beiden schwedischen Bandengeneräle auf Geduld und bedingungslose Unterstützung durch den neuen Sportchef Janick Steinmann zählen.
Lugano hat mit Niklas Schlegel und dem NHL-Draft Joren van Pottelberghe zwei Torhüter mit dem Talent zur Nummer 1. Aber beide haben sich bei Lichte besehen noch nie während einer ganzen Saison durchgehend von September bis April als Nummer 1 bewährt. Inzwischen ist Niklas Schlegel 31 und Joren van Pottelberghe 28 geworden. Es ist Zeit, dass sie konstant ihr bestes Hockey spielen. Tun sie es, hat Lugano ein sehr gutes Torhüterduo. Tun sie es nicht, wird wohl wieder ein ausländischer Goalie verpflichtet.
160 Gegentore. Nur Ajoies Abwehr (188 Treffer) war letzte Saison noch löchriger. Noch nie seit Einführung der Playoffs (1986) war eine so gut besetzte und so teure Abwehr so zerbrechlich. Dabei gab es keinen Grund, warum die Verteidigung nicht so stabil hätte sein können wie beispielsweise jene von Langnau (126 Gegentore). Wir ahnen es: Die miserable Defensivleistung ist auch einem völlig überforderten Coach geschuldet. Nun kommen gleich zwei schwedische Taktik-Grossmeister. Sie müssten eigentlich zur grössten Steigerung einer Verteidigung von einem Jahr zum anderen seit Einführung der Playoffs sorgen.
Mit 137 Toren war Lugano letzte Saison offensiv nur die Nummer 9 der Liga. Dabei gab es keinen Grund, warum die offensive Feuerkraft nicht so gross hätte sein können wie beispielsweise jene von Bern (165 Tore). Wir ahnen es: Die miserable offensive Ausbeute ist auch einem völlig überforderten Coach geschuldet. Nun sollen kräftigere ausländische Stürmer mit mehr Wasserverdrängung mehr offensive Wirkung erzielen. Und vor allem: Mit Tomas Mitell und Stefan Hedlund kommen gleich zwei schwedische Taktik-Grossmeister, die den Spielern erstens Beine machen können und zweitens dazu in der Lage sind, durch gute Spielorganisation die offensive Effizienz zu erhöhen. Die Veränderungen müssten, so die Hockeygötter wollen, zur grössten Steigerung einer Offensive von einem Jahr zum anderen seit Einführung der Playoffs führen.
Eine Maximalnote für bald 20 Jahre Irrungen und Wirrungen ohne Titel und Triumphe, und nach der Playout-Serie gegen Ajoie, der grössten Schmach der Klubgeschichte? Nicht einmal im Cup, den mit den Lakers und Ajoie sogar zwei Teams aus der zweithöchsten Liga gewonnen haben, reichte es in den letzten Jahren zu Ruhm und Ehre oder wenigstens einem Final. Ist die Maximal-Note absurd? Ja, wenn wir nur die Resultate und die vielen bisweilen grotesken personellen Fehlentscheidungen betrachten. Nein, wenn wir die Leidensfähigkeit, die Leidenschaft und den Unterhaltungswert dieser Hockey-Kultur berücksichtigen. Seit den 1980er Jahren sichert die Familie Mantegazza die wirtschaftliche Stabilität dieses Hockeyunternehmens unter Palmen, das einst mit der Einführung der Professionalität für den „Urknall“ in unserem Hockey gesorgt und eine Entwicklung in Gang gesetzt hat, die uns inzwischen schon dreimal bis in den WM-Final und auf den Gipfel des europäischen Klubhockeys gebracht hat. Die Familie Mantegazza beglückt das Tessin mit einem Hockeyclub so wie die Familie von Paul Getty die Kunstliebhaber mit wundervollen Museen. Paul Getty war kein Künstler, aber ein überaus erfolgreicher Kapitalist. Geo Mantegazza war kein Hockeyprofi, aber ein überaus erfolgreicher Kapitalist. Wer über einen so langen Zeitraum so viel Geld für so wenig Ruhm und Ehre ausgibt, ist wahrlich ein echter Hockey-Fan. Das verdient die Maximalnote.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
War es je so schwierig, Mannschaften einzuschätzen wie vor der Saison 2025/26? Nein, wahrscheinlich nicht. Wir wissen zwar aus Erfahrung, dass es mindestens eine Überraschungs-Mannschaft und einen strauchelnden Titanen geben wird. Aber wer wird positiv überraschen? Langnau? Ambri? Ajoie? Und wer gerät in den Strudel einer Krise? Erneut der Servette? Aber vielleicht helfen ja unsere Noten bei der Einschätzung.
Statistiken sagen viel. Aber alle haben sie. Gibt es mehr als nur diese allgemein zugänglichen Zahlen? Ja. Eine Bewertung jedes einzelnen Spielers. Deshalb benoten wir jeden unserer Helden des rutschigen, eisigen Spielfeldes. Wir polemisieren damit sozusagen nach Noten. Aber leicht machen wir uns die Sache nicht. Unsere Noten basieren bei Weitem nicht nur auf unserem unzulänglichen Urteilsvermögen. Wir folgen auch den Einschätzungen der wahren Kenner, der Trainer, Sportchefs, NHL-Scouts. Und ein Problem können wir nicht lösen: Alle Beurteilungen basieren auf den Leistungen in der Vergangenheit. Was einer in Zukunft leisten wird, bleibt reine Spekulation.
Wenn wir wissen wollen, wie gut eine Mannschaft ist bzw. sein wird, können wir einfach den Noten-Durchschnitt ausrechnen. Oder? Aber so einfach ist es leider nicht. Ob aus hochkarätigen Spielern mit hohen Noten tatsächlich eine starke Mannschaft wird, ist nämlich höchst ungewiss. Es ist keineswegs sicher, dass eine Mannschaft tatsächlich so gut spielt, wie sie es aufgrund der Bewertung der einzelnen Spieler eigentlich müsste. Das zeigt auch, welche Gestaltungskraft gute Trainer haben. Sie können mehr aus einem Team herausholen, als unsere Noten vermuten lassen. Unsere Noten sagen letztlich noch nichts über die Mannschaft. Wer sich bei den Prognosen trotzdem auf diese Noten verlässt, ist selbst schuld.
Lugano war letzte Saison weit unter seinem tatsächlichen spielerischen Wert klassiert. Eine Verbesserung auf Platz 8 ist deshalb erstens realistisch und zweitens angesichts der spielerischen Substanz und des investierten Geldes Pflicht. Aber wenn einmal das Mittelmass in eine Kluborganisation eingesickert ist und alle gemerkt haben, dass es sich ja im Mittelmass unter Palmen und am See gut leben lässt, dann wird die Hege und Pflege einer Leistungskultur sehr, sehr schwierig.